Einführung
zu den Vernissagen
am 29.09.99 bei ZENIT in Mülheim/Ruhr und
am 30.09.99 im Hotel Intercontinental Frankfurt
Vitalität und Bewegung
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
es
ist eine besondere Freude die Möglichkeit zu haben, einem Sammlerpaar
über die Schulter zu schauen, das über genügend Souveränität
und Eigenständigkeit verfügt, einen in Deutschland noch unbekannten
brasilianischen Künstler zu unterstützen.
Insofern gilt es Sylvia Steinbichler und Michael Orth zu begrüßen
und Ihnen auch im Namen von Paulo de Oliveira Simoes zu danken.
Wollen
wir uns als Betrachter langsam den Bildern nähern, so werden wir
schnell erfahren, daß wir es mit einer Wirklichkeit zu tun bekommen,
die an Präsenz und Überreichlichkeit kaum zu überbieten
ist.
Das subjektive Erleben eines Künstlers scheint im Vordergrund dieser
Arbeiten zu stehen und der Betrachter verliert schnell seine Distanz zu
dem, was er anschaut. Dennoch soll es, meine Damen und Herren, ein Ziel
dieser kleinen Einführung sein, einige Phänomene sprachlich
zu fassen und somit diskutierbar zu machen, bevor die Malerei wellenartig
über uns zusammenschlägt.
Die Wirkung ist nicht zuletzt das Resultat eines sehr gekonnten Bildaufbaus.
Simoes verzichtet in der Regel auf eine Perspektive und vermeidet in diesem
Zusammenhang auch eine erzählerische Bildstruktur. Seine Formen und
Zeichen finden sich an einer zentralen Mittelachsenkomposition entwickelt.
Wir sehen in Simoes einen Grenzgänger zwischen Figuration und Abstraktion,
dessen Wurzeln wir durchaus in der europäischen Avantgarde zu suchen
haben. Somit gibt es deutliche Anklänge an den Kubismus, jener Wiege
der Moderne, der es erfolgreich gelang, die Zweidimensionalität der
Bildfläche zu überwinden. Dies geschah nicht nur über eine
illusionistische Perspektive - wie schon bemerkt, findet sich diese auch
nicht bei Simoes - sondern in einer besonderen Behandlung der einzelnen
Form. Diese Form wird in sich zerlegt, verschoben und verdreht, eben dekonstruiert,
um sie dann wieder in einer Weise zu rekonstruieren, die es ermöglicht,
zur selben Zeit unterschiedlicher Ansichten habhaft zu werden und somit
die Fläche zu öffnen.
Diese formimmanenten Fragestellungen streifen in der isolierten Figur
bei Simoes auch den Surrealismus. Ein Beispiel für ein solches Wesen
ist jene immer wiederkehrende "Kopffigur" mit dem versetzten
überdimensionierten Auge, die an das antike Motiv des "Zyklopen"
denken läßt.
Und doch, meine Damen und Herren, bleibt Simoes ein Maler und Zeichner
seiner eigenen Vitalität.
Die Welt wird zu einem Tummelplatz der Formen und Farben, wobei beides
nicht notwendig aneinander gebunden ist. Die Farbe steigert natürlich
wesentlich den Ausdruck der Form, führt aber gleichzeitig ein Eigenleben.
Auffällig ist es hierbei, daß wir es je nach Bildgeschehen
mit 2 Farbigkeiten
zu tun haben: bei den isolierten Figurationen neigt Simoes zu einer erdverbundenen
Tonigkeit. Bei den prismatisch zergliederten Motiveb finden wir optische
Reize, die einer tropischen Coloristik entlehnt sind und sich wesentlich
von der Farbigkeit zeitgenössischer europäischer Malerei unterscheiden.
Simoes ergreift von der Form Besitz und verbindet uns bekannte Elemente
und Versatzstücke in einer neuen Weise. Seien es nun menschliche,
tierische oder pflanzliche Elemente, immer wieder dient die mehr oder
weniger abstrahierte organische Form dazu, seinen Bildern einen figürlichen
Halt zu geben. Wie bei einem Blick durch ein Kaleidoskop erreichen wir
Bilderwelten, die in ihrer Konsistenz überzeugen. Die Wirkung der
Vielfalt der zerlegten Formen scheint die äußeren Bildränder
zu überschreiten.
Doch ist es gerade nicht ein zerfasender Effekt, der sich einstellt, sondern
ein besonderes Erlebnis von Dichte. Diese Kraft speist sich nicht zuletzt
aus einer tiefen Naturerfahrung, die allen Bildern, seien sie noch so
unterschiedlich, zugrunde liegt.
Seine Malerei scheint vertraut und bietet gleichzeitig einmalige Konstellationen
und Lösungen an. Dem jungen Maler gelingt es ohne ästhetische
Retuschen auszukommen und Leinwände zu bewältigen, die wie ein
Ausschnitt wirken, gleichzeitig aber eine unglaubliche Komplexität
und Atmosphäre vermitteln.
Meine
Damen und Herren, es war immer ein Ziel guter Kunst über die Wirkung
das Werk zu überwinden. Simoes überschreitet die Bilder und
das alles scheint in einer Wahrnehmung zu münden, der eine seltene
Vitalität zugrunde liegt. Der Künstler entwirft eine Welt, die
er in letzter Konsequenz nicht ausformuliert.
Meine Damen und Herren, dieser scheinbare Mangel ist in Wirklichkeit eine
besondere Qualität. So wenig wir naturalistische Wesen erkennen,
können können wir von einer Bewegung im Bild sprechen; und doch
hat diese Kunst damit zu tun. Auf der Basis von Farbe und Form wird der
Betrachter im Laufe der Rezeption immer mehr ein Teil des Bildes, das
ihm die Chance eröffnet, atmosphärisch begründete Dinge
zu erleben und vielleicht sogar zu hören. Eben Dinge, die sich garnicht
darstellen lassen. Die Sprache ist, wenn sie verständlich sein soll,
an ein zeitliches Nacheinander gebunden. Genau das wird Simoes nicht gerecht.
Seine Bilder sind Sensationen des Augen - Blicks, den man in seiner Vielschichtigkeit
besser erleben als beschreiben kann.
Dr. Tobias Kaufhold
Kunsthistoriker
Mülheim
an der Ruhr, September 1999