Einführung zu der Vernissage
am 29.11.2005 zur ADVENIAT-Ausstellung
in der Bank im Bistum Essen


„LEBENS(T)RÄUME“

Sehr geehrte Damen und Herren,

am vergangenen Freitag brachte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung einen ungewöhnlichen Aufmacher auf der Seite 1. Die Überschrift provozierte: „Kardinal Bush ist ein Alibi-Christ“. Die Aussage stammt vom brasilianischen Erzbischof Agnelo. Sie sehen, Brasilien ist plötzlich nicht mehr weit fort, sondern sehr nah. Der Kardinal stammt aus der Küstenstadt von Sao Salvador da Bahia, der Region, in der auch der Künstler arbeitet. Die Kunstwerke die Sie hier und heute sehen, entstanden weit weg jenseits des Atlantiks.

Es war ein Franzose, der uns in Nordrhein-Westfalen ein neues Sehen nahe legte. Jean-Hubert Martin, Generaldirektor der Stiftung Museum Kunst Palast in Düsseldorf, hat mit der Ausstellung „Altäre. Kunst zum Niederknien“ und später vor allem mit „Africa Remix“ seine Idee verfolgt, den eingeschränkten Blick auf eine westliche Kunst, sprich euro-amerikanische Weltkunst, vom Abendland geprägt, aufzugeben und den Geist global zu weiten. Das gelingt nicht so einfach, wie einen Schalter umzudrehen. Lassen Sie uns das frisch Erlernte heute an dieser Ausstellung einüben. Denn der brasilianische Künstler Paulo de Oliveira Simoes ist keineswegs ein Künstler an der Peripherie der Kunstwelt, der im amerikanischen Hinterhof den euro-amerikanischen Trends nacheilt.

Bei Simoes treffen wir auf eine unbedingt kraftvolle Bilderwelt, verwirrend in ihrem Reichtum und naiver Fabulierlust. Erinnern wir uns, wie sehr Expressionisten und Fauves sich von den „Wilden“, von den ursprünglichen Naturvölkern inspirieren ließen. Nun, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, Simoes ist kein Wilder. Wir sprechen nicht von irgendwelchen Indianerstämmen im hinteren Amazonasgebiet. Simoes ist kultiviert, durch eine westliche Schule gegangen – und trotzdem anders.

Paulo de Oliveira Simoes ist heute 37 Jahre alt. Er hat Frau und Kind. Es steht mitten im Leben seines Heimatlandes Brasilien. Er lebt nicht in den Metropolen Rio de Janeiro, Sao Paulo oder Brasilia, sondern der kleineren Stadt Canavieiras, eine Hafenstadt am Atlantik im Bundesland Bahia.

Wenn sich bei Ihnen kein Aha-Effekt einstellt, kein Problem. Ich wusste es bislang ebenso wenig. Wichtig hervorzuheben ist, dass dort besonders die Einflüsse der in den vergangenen Jahrhunderten aus Schwarzafrika verschleppten Sklaven spürbar ist. Nun ist Simoes kein Schwarzer, ebenso wenig verfällt er in seinen Bildern in eine afrikanische Folklore. Auch nicht in eine brasilianische. Wenn wir Tanga-Bikini, Zuckerhut, Samba und Capoeira noch auf eine Reihe bekommen, werden wir diesen Bildern nicht gerecht.
Aber ein Bild wie „Sonntag am Strand“ zeigt sehr gut, um was es dem Künstler geht. Wir sehen Menschen, die sich wie zufällig treffen, der Rhythmus der Wellen mischt sich mit dem Takt der Trommel. Der Blick zum Horizont ist der Blick back to the roots. Zwei Kontinente überspringen den Ozean, aber vielleicht ist das aus der Ferne auch wieder zu romantisch gedacht.
Bei Ausstellungen in Deutschland zeigt er Bilder wie „Im Banne des Zauberers“. Aber Sie müssen nicht Ihre Voodoo-Puppen hervorholen um dazu zu gehören. Er sitzt im Zentrum und hält zwei Figuren in seinen Armen, in seinem Bann sozusagen. Die Bilder von Simoes befremden und faszinieren uns gleichzeitig. Sie kommen uns fremd vor, trotzdem erkennen wir bekannte Rätsel des Daseins. Sie sind bunt und figurativ, aber nicht überhöht. In seiner Kunst gelingt es dem brasilianischen Künstler , die europäische Kunstetappe des Surrealismus mit der naturnahen Bildsprache des schwarzen Kontinents zu einer eigenen Formensprache zu verweben. Auf uns abgebrühte West-Kunstgenossen wirkt sie kraftvoll, farbenfroh, voller Symbolik und magisch geheimnisvoll. Wohl dem, der so träumt. Ein Glückskind, wer solche Traumbilder auf Leinwand festhalten kann.

Thematisch kreisen seine Gemälde um den Kreislauf des Lebens, von der Zeugung bis zum Tod. Wie ein Magier der Farben, entwirft Simoes in kraftvollen Bildern und Objekten eine Traumwelt jenseits bekannter Horizonte. Die wohl älteste Frauenskulptur der Archälogie zeigt eine übergewichtige Venus. In seinen Frauendarstellungen vervielfacht er Gesäßpartien und Brüste. Auch wenn dieser Teil in dieser Ausstellung ausgeblendet ist, handelt es sich nicht um platte Männerphantasien, sondern um konsequente bildliche Weiterführung eines naturnahen Schöpfungsglaubens. Eine schwarze Madonna, weiß angehaucht.

Simoes beobachtet die Menschen in seiner Umgebung. Sie hängen ab am Sonntag am Strand, spielen Backgammon. Simoes spürt Indianern nach wie den Nachfahren schwarzer Sklaven. Aus dem verbotenen Tanz der Sklaven wurde die Kampfsportart Capoeira, die heute in unseren Fitnessstudios gelehrt wird. Capoeira ist auch diese Ausstellung: Die Bilder schlagen um sich, aber sie wollen nicht verletzen, sie bestechen durch die Eleganz ihrer Erfindung, aber rühren an durch die unmittelbare Wucht ihrer einfachen Sprache.

Bei Simoes Kunst scheint ein ganzer Kontinent mitunter in einem Bild eingefangen zu sein. Das indigene Element, das Naturreligiöse, der schwarze Kontinent und das Erbe der europäischen Kolonialisten, dazu der Schatten der amerikanischen Supermacht, dass ist ein Wunschpunsch, aus dem sich so manch herrliches Gericht brauen lässt.
Paulo de Oliveira Simoes macht daraus kein berechenbares Programm, sondern eine einfühlsame Einführung in fremde Traumwelten. Surreal betont und wiederholt er Körperteile, Augen etwa, er absolutiert Köpfe – ET lässt grüßen.

„Wegreinigung für den Heiligen Bonaventura“ heißt ein Bild. Ein wunderbares Gleichnis für den Künstler, der den Weg frei macht mit seiner Kunst für höhere Erkenntnis. Bonaventura, als Kind von schwerer Krankheit genesen, wurde von seiner Mutter dem Orden des Heiligen Franziskus versprochen. Als Gelübde der Armut und die Nähe zur Natur fallen auch in Bahia auf einen fruchtbaren Boden, in einer Stadt, die durch Diamantenfunde zu Reichtum gelangte und heute in Bedeutungslosigkeit zu versinken droht.

„Der Gerechte wird seinen Weg einhalten“. Simoes ist wie ein Gerechter, der seinen künstlerisch eigenständigen Weg geht. Und er liebt das Evangelium der Befreiung, nach Jesaha 9,1: „Das Volk, dass im Dunkeln lebt, sieht ein helles Licht, über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.“ Seine Bilder atmen Frömmigkeit, Gottvertrauen, dass wir uns vielfach gar nicht mehr zutrauen. Simoes malt Menschen in Andacht, den Kopf in den Nacken gelegt, um zum Himmel empor zu blicken. Mir kommt es vor, dass wir zu viel auf unsere Füße schauen.

Und immer wieder eine Figur mit Kerze. Das flackernde Licht als Mittler der Welten, als Wandlung von Energie, als heiße Erinnerung an unsere Vergänglichkeit und Besinnung auf eine andere Daseinsform. Und dann wieder Verunsicherung: „Karneval der Auserwählten“? Was hat das zu bedeuten? „Gebet für Regen“ strahlt dann wieder etwas betont Heidnisches aus, die Indianer tanzen sich wieder in den Vordergrund – und wir müssen ihnen zugestehen, wenig verstanden zu haben von den Dingen, die zwischen Himmel und Erde passieren. Schließen wir uns den „Pilgern“ von Simoes an, und reihen uns ein in die Kette der Menschen, die sich der Botschaft Jesu anvertrauen, um nicht mit dem Schicksal der Menschen zu hadern.

Titel wie „Zwischen Tag und Nacht“ rühren an ein Traumbild, Simoes besinnt sich aber auch historischer Fakten wie der „Entdeckung Brasiliens“. Wir haben trotz Caipirinha und Pele Brasilien noch längst nicht entdeckt. Lassen Sie uns „Meditieren“ oder einfach einen „Sonntag am Strand“ verbringen. Alles Titel aus der Bilderwelt von Simoes.

Genug der Worte. „Schweigen ist Gold“. Lassen Sie sich nicht wie im Bild die Lippen verkleben, lassen Sie sich nicht die Augen verkleistern , öffnen Sie sich einer völlig unabhängigen Sichtweise jenseits des Atlantiks.
Überlassen Sie sich dem Banne eines Zauberers, überlassen Sie sich dem Zauber der Bilder von Paulo de Oliveira Simoes.

Vielen Dank für den Zauber Ihrer Aufmerksamkeit.

Dr. Heribert Brinkmann
Kulturredakteur der Rheinischen Post