Paulo de Olivera Simões
Zum Sterben schön
von Dr. Barbara Aust
„Capoeira Mata Um.“ - Das ist eine
Redensart in Bahia, die vieldeutig ist. Capoeira bringt einen um - das ist die
kämpferische Seite und die andere: Capoeira ist zum Sterben schön. Diesen Rhythmus
der Gegensätze findet man auch in den Arbeiten des brasilianischen Künstlers
Paulo de Oliveira Simões. 1968
in Canavieiras, Bahia, geboren, visualisiert er das Lebensgefühl seiner Heimat
in extremen Facetten und Gefühlslagen. So existieren innerhalb Bahias
gegensätzliche Strömungen: die afrikanisch inspirierte Kultur der Küste und die
stärker portugiesisch-indianisch beeinflusste Nordost-Kultur des Inlandes. Die
Gegensätze des Lebens spiegeln sich auch in den Themen, die der Künstler
aufgreift: Geburt und Tod, Religion und Animismus, Tradition und Gegenwart,
Mythos und Realität, explosive Lebensfreude und schmerzende Trauer. Die
Formensprache der Ölbilder ist abstrakt und lässt sowohl Tendenzen zum Kubismus
als auch zum Surrealismus erkennen, wie in seinen frühen Arbeiten, deren
Figuren ein übergroßes zyklopenartiges Auge tragen. In den farbintensiven
Kompositionen verzichtet Paulo de Oliveira Simões auf die akademische Perspektive, indem er das tatsächliche Maß
der Dinge vernachlässigt und ihnen eine geistige Dimension gibt wie in der
Arbeit „Capoeira I“.
Paulo
de Oliveira Simões, Capoeira I,
Öl auf Leinwand, 100 x 100 cm, 1997
Ähnliche Bedeutung hat die
geordnete, bildnerische Verschmelzung der Formen in „Capoeira I“ durch ein
Übereinanderlegen der Formen und die kristalline Verflechtung der Objekte.
Paulo de Oliveira Simões erste
spontane Idee lässt aus flüchtigen Empfindungen farbige Materie entstehen, die
zweite Tätigkeit findet im Kopf statt und besteht darin, die aus der Analyse
hervor gegangenen Elemente einem Rhythmus zu unterwerfen. Die Ordnung ist nicht
mehr eine Verteilung der Dinge nach der Bedeutung, die ihnen eine unwandelbare
Konvention zuerkennt, sondern eine streng bildnerische Spekulation über
Unterschiede ganz abstrakter Dimension. Diese Wahrnehmung geometrischer
Strukturen setzt sich fort in der Arbeit „Tropical“.
Paulo de Oliveira Simões, Tropical, Öl auf Leinwand, 200 x
139 cm, 1997
In der Verneinung des
perspektivischen Raumes, der theoretisch unbegrenzten Öffnung der Bildfläche
nach hinten, sieht der Künstler ein regelrecht gegensätzliches Prinzip
verwirklicht - so wie bei den Kubisten bewusst auf die Linearperspektive Leon
Battista Albertis verzichtet wurde. Stattdessen schließt Paulo de Oliveira Simões „Tropical“ durch einen festen
Hintergrund ab, von dem sich die Körper abheben – seien es Flamingos, Hände,
Augen, Figuren – und lässt so einen sorgfältig eingerichteten Raum von geringer
Tiefe entstehen. An die Stelle der scheinräumlichen Öffnung der Bildfläche nach
hinten, setzt er ein Relief auf eine Fläche. Diese ist selbstverständlich genau
so scheinräumlich wie die perspektivische Öffnung, allerdings, ein wesentlicher
Unterschied, von der Fläche auf den Betrachter zu gerichtet, und nicht von ihm
hinwegführend.
Paulo de Oliveira Simões, Lebensbaum II, Öl und Acryl auf
Leinwand, 90 x 70 cm, 1998
In der Arbeit „Lebensbaum II“
strukturiert der Künstler die Fläche mit einem Geflecht von Ästen, durch deren
Zweige unendlich viele Augenpaare aus der Dunkelheit blicken. Die Vorstellung
eines Baumes,
dessen Früchte die Sterblichkeit aufheben, ist sehr alt und verbreitet. In der
Genesis der Bibel stehen zwei besondere Bäume
im Paradies
Eden, der Baum des Lebens und der Baum der
Erkenntnis des Guten und des Bösen. Solange die Urmenschen von erstem aßen,
waren sie unsterblich. Weil sie aber - verbotenerweise - vom letzteren essen,
werden sie als Adam
und Eva aus
dem Paradies
vertrieben und sind seitdem vom Lebensbaum
abgeschnitten. Auffallend ist, dass Paulo de Oliveira Simões den zwei Bäumen aus der
christlichen Mythologie, dem Baum des Lebens und dem Baum der Erkenntnis, noch
einen dritten hinzugefügt hat.
Ab dem Jahr 2000 setzt sich Paulo
de Oliveira Simões auch mit der plastischen
Umsetzung seiner Lebenswelt künstlerisch auseinander. So gelingt es dem
Künstler, auf der Suche nach seiner Identität, eigene Ausdrucksmittel zu finden
durch die Verwendung von angeschwemmten Piqui Holz, das teilweise über Feuer
geschwärzt und mit Acryl bemalt wurde, wie die Skulptur „Schlangennest“.
Paulo de Oliviera Simões, Schlangennest, Piqui Holz,
feuergeschwärzt, Acryl Farbe,
71 x 156 x 40 cm, 2000
Der vertikal aufsteigende
wurzelförmig geschwungene Holzkörper ist mit Darstellungen archaisch geprägter
Fabelwesen bemalt. Die Skulptur „Schlangennest“ verweist auf den Brauch
einheimischer Indianer Wurzelholz als Teil ritueller Handlungen einzusetzen. Aus der Vermischung europäischer Traditionen
und Wertvorstellungen mit den Kulten der Indianer und bald auch Einflüssen aus
der Kultur der eingeführten afrikanischen Sklaven entstand eine neue,
brasilianische Volkskunst, die in ihrer Vielseitigkeit und in ihrem Reichtum
unvergleichlich ist.
Die Einzigartigkeit von Paulo de Oliveira
Simões besteht gerade darin, diesen Reichtum künstlerisch umzusetzen ohne
Vergangenes zu reproduzieren, vielmehr ein völlig eigenständiges zeitkritisches
Werk zu schaffen. Paulo de Oliveira Simões gehört heute zu den wichtigsten
Vertretern der brasilianischen zeitgenössischen Kunst. Sein Oeuvre ist gekennzeichnet
durch ein komplexes Bewusstsein für die Geschichte seines Landes und
dessen gesellschaftliche Wirklichkeit, technische Versiertheit sowie für
die Lust am Experiment.
Paulo de Oliveira Simões absolvierte ein Studium der Freien
Malerei von 1987 bis 1990 an der Universität von Saõ Paulo und Santa Cruz. Die Arbeiten von Paulo de Oliveira Simões waren in zahlreichen Ausstellungen
im In- und Ausland zu sehen und befinden sich in privatem und öffentlichem
Besitz. Vertreten wird der Künstler durch „art selection – Internationale
zeitgenössische Kunst“.
Kontakt:
Künstler: Paulo
de Oliveira Simões
vertreten durch Michael Orth von art-selection
E-Mail:
art-selection@gmx.de
URL:
http://www.art-selection.de
Autor: Dr. Barbara Aust
E-Mail:
Barbara.Aust@t-online.de
URL:
http://www.arthistoryconsulting.de